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Zwei Tage im April . . .

Kriegsende 1945 bringt Fützen Zerstörungen und Leid


Zeitzeugen erinnern sich an schreckliche Tage


Anlässlich des 60 Jahrestages des Kriegsendes 1945 hat Erich Schüle einige Fakten zu den Ereignissen dieser letzten Tage einer unrühmlichen Epoche unseres Landes zusammengetragen, die zeigen, wie viel Leid auch unser Dorf am Vortag des Friedens auf sich nehmen musste, weil einige unbelehrbare „Eiferer“ meinten, hier noch einmal den „Endsieg“ erzwingen zu müssen.
Dank den Aussagen einiger Zeitzeugen (damals im Alter zwischen Jugend und Erwachsensein) können auch die Nachfahren dieser vom Krieg geprägten Generation sich ein Bild von dem furchtbaren Geschehen machen, das Fützen, aber auch die Nachbarorte, bis dahin weitab vom Kriegsgeschehen gelegen, völlig unerwartet traf.


Kriegsende vor 60 Jahren bringt Fützen in große Not

Am 26. und 27. April 1945 erlebte Fützen die schwärzesten Tage seiner Geschichte seit dem Großbrand im Jahre 1910.
Damals fielen 15 Anwesen einer Feuersbrunst zum Opfer. Doch in den letzten Tagen im April 1945, als man schon hoffte, der Krieg sei vorbei, sollten die Einwohner von Fützen diesen noch einmal in voller Härte an Leib und Leben zu spüren bekommen.
Am Sonntag, dem 22. April, zogen Teile des 18. SS-Korps unter General Keppler von Achdorf her, in Fützen ein, von wo aus sie sich über den Randen Richtung Bodensee durchschlagen wollten. Hier in Fützen formierten sich die ermüdeten Truppen neu. Fützener Landwirte und Pferdebesitzer sollten helfen, die schweren Geräte über den Randen zu schaffen.
Dies blieb der Flugbeobachtung der Franzosen nicht verborgen und bei Einbruch der Dämmerung wurde der Ort von Behla aus, wo die Franzosen bereits Stellung bezogen hatten, mit schweren Granaten unter Beschuss genommen. Schon die ersten Einschläge forderten zwei Todesopfer unter der Bevölkerung (Xaver Boma und Rosa Baschnagel), die wie viele total überraschten Bürger vor dem Haus Umschau halten wollten. Schnell flüchteten viele Menschen, soweit erreichbar, in bombensichere Kellergewölbe wie im Pfarrhaus, bei Xaver Roth und anderen.
Nach Aufzeichnungen des damaligen Ortspfarrers Ulrich Waibel befanden sich in jener Nacht und an den weiteren Tagen bis zu 65 Personen im Pfarrhauskeller (heute Versammlungsraum). Pfarrer Waibel ist es zu verdanken, dass die weiteren Kriegshandlungen akribisch handschriftlich festgehalten sind.
Nachdem der Beschuss am folgenden Tag anhielt, flüchteten viele Bürger zum Teil mit Handwagen und ein paar Habseligkeiten, oder mit einem Leiterwagen und vorgespannten Kühen Richtung Schweizer Grenze, in das Westerholz, den Hochwald oder in den Tunnel Richtung Achdorf, um dem immer wieder aufflackernden Geschützfeuer zu entgehen.

Schwere Kampfhandlungen setzen Dorf in Brand

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Am folgenden Donnerstag (26.April 1945) wimmelte es im ganzen Dorf von deutschen SS-Soldaten, die versuchten, den Einmarsch der Franzosen, dieses mal von Grimmelshofen her, zu verhindern. Dabei kam es zu schweren Kampfhandlungen mit Toten und Verwundeten. In der Folge nahmen französische Panzer den Ort unter Dauerbeschuss, so dass es im Ort bald an allen Ecken und Enden brannte. Fützen stand in Flammen.
Erst nach Mitternacht zogen sich die SS-Soldaten zurück. Unbemerkt hatten sich bereits am Mittwoch zwei beherzte Männer (Justin Gleichauf, späterer Bürgermeister, und Johann Gleichauf - Korhummel-Schorsch -) mit dem Fahrrad in das bereits besetzte Blumberg mit einer weißen Fahne auf den Weg gemacht mit dem Versuch, den Ort kampflos zu übergeben.
Da die deutschen Truppen aber zeitgleich einen neuen Vorstoß unternahmen, war die Botschaft der beiden Männer unglaubwürdig und sie wurden kurzerhand gefangen genommen und im Keller der damaligen Bahnmeisterei in Zollhaus zu anderen Festgenommenen gesperrt. Auch auf dem Kirchturm war von unbekannter Hand die weiße Fahne gehisst worden.
Am Morgen des 27. April rückten aber dann die französischen Truppen mit ihren Panzern in Fützen ein. Die französischen Panzer rückten schließlich bis zu Staatsgrenze zur Schweiz bei Beggingen vor. Hier hatten sich in einer Heuhütte 20 Meter vor der mit Stacheldraht bewehrten Grenze bis zu 100 Fützener Bürger verkrochen oder andere unter ihren Leiterwagen Schutz gesucht.
Endlich wurden die Absperrungen entfernt und die total verstörten und auch hungrigen Menschen in den Scheunen und Stallungen des Schlatter- hofes, des Landenhofes sowie bei Familie Schudel (Neuwies), direkt hinter der Grenze, aber auf Schweizer Boden, unter Aufsicht durch das Schweizer Militär untergebracht, sozusagen interniert, aber auch in dankenswerterweise verpflegt.
Viele Gefahren lauerten in den folgenden Tagen durch herumliegendes Kriegsmaterial, Tierkadaver und einsturzgefährdete Häuser. Bei Aufräumungsarbeiten wurde die Tochter Karoline der Familie Röthenbacher (Altvogts) von einer einstürzenden Mauer getötet.
Ingesamt gab es in Fützen 70 stark beschädigte Häuser, auch die Kirche, vor allem der Kirchturm, war schwer beschädigt. Dort hatten während der Kampfhandlungen deutsche Soldaten einen Beobachtungsposten eingerichtet.
16 Familien aber hatten mit ihren ausgebrannten Häusern auch ihr gesamtes Hab und Gut verloren. 45 Stück Großvieh waren verbrannt oder erstickt. Nach Augenzeugenberichten wurde das Schul- und Rathaus von SS-Leuten vor deren Rückzug angezündet und brannte mit allen Grundbuchakten völlig aus.

Beim Wiederaufbau zogen alle an einem Strang

Im Pfarrhaus und später im Kaufhaus Wehinger richteten die Franzosen ihre Kommandantur ein. In den ersten Wochen gab es mancherlei Repressalien für die Dorfbewohner, auch wurde eine nächtliche Ausgangssperre verordnet. Leute mussten zum Kartoffelschälen in die Feldküche abgestellt werden, ebenso galt es, die herumliegenden toten Soldaten zu begraben.
Viel gäbe es zu berichten über die nun folgenden harten Wochen und Monate der Besatzungszeit und des zögerlichen Wiederaufbaus. In diesen schweren Tagen wurde echte Nachbarschaftshilfe geleistet. Zu erwähnen aber auch die große Unterstützung aus den Schweizer Nachbarorten Beggingen und Schleitheim. Von dort wurden Kleider und Lebensmittel, später sogar Baumaterial zur Verfügung gestellt.
Die Gemeindeverwaltung Fützen stellte aus dem Gemeindewald kostenlos Bauholz zur Verfügung. Um Ziegel und Backsteine zu bekommen, gingen viele Familienmitglieder unter Mitnahme von Lebensmitteln (Kompensation) in die Ziegelwerke nach Erzingen und Böhringen (bei Radolfzell), um so durch harte Mitarbeit an eine "Zuteilung" von Baumaterial zu kommen.
Manchen älteren Blumberger Bürgern wird aber andererseits auch noch erinnerlich sein, dass sie als zu Fuß mit Milchkannen über den Buchberg nach Fützen kamen, um in den Stallungen der Landwirte oder später auch in der Milchsammelstelle, um Milch zu bitten, und wenn es auch nur entrahmte Magermilch war.

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Die für 100 Fützener Bürger Unterschlupf bietende Scheune.                     Auch nach 60 Jahren steht sie noch am selben Platz.
                                                                                         Im Hintergrund, nur durch einen Feldweg getrennt, der Schlatterhof / Schweiz



April 1945: Fützen in den letzten Kriegstagen - Zeitzeugen berichten:

zz_merzPauline Merz,
geb. Happle (77)
Als die Front immer näher an Fützen heran kam, beluden meine Eltern einen Leiterwagen mit einigen Habseligkeiten und flohen mit vier Milchkühen Richtung Schweiz. Dort hatten sich nahe der Grenze schon eine große Zahl Fützener versam- melt, so dass es in der Scheune, die notdürftig Unterschlupf bot, eng herging. In der Dunkelheit kehrten Vater und Mutter immer wieder ins Dorf zurück, um das restliche Vieh zu versorgen. Doch als wir nach Beendigung der Kriegshandlungen zurückkamen, standen wir mit großem Entsetzen und Wehmut vor den rauchenden Trümmern unseres Heimathauses.
Geblieben waren uns nur wenige Habseligkeiten, auch das ganze restliche Vieh war verbrannt. Unterschlupf fanden wir spontan bei Familie Jakob Zobel, später bis zum Wiederaufbau wohnten wir in der Hofstraße bei August Roth. Ich werde diese schlimme Zeit nie vergessen. Der Heldentod meines Bruders Wilhelm war für meine Eltern zeitlebens und für mich bis heute eine zusätzliche schreckliche Erinnerung an diesen Krieg.





zz_heckBerta Heckmann, geb. Scheuch (80)
Am Sonntag, dem 22. April 1945, wurden wir von den im Ort einschlagenden Granaten völlig überrascht. Als am anderen Morgen deutsche Soldaten bewaffnet um das Haus und in den nahen Obstgärten in Stellung gingen, schickte Vater die Mutter mit uns 4 Kindern in den Keller, deren Tür er noch mit dicken Holzbalken von außen verrammelte. Vater hatte bestimmt, dass wir das Haus nicht verlassen werden, um im Notfall das Viehzeug retten zu können.
Bald erschütterten auch die Granateneinschläge die ganze Umgebung. Plötzlich aber hörten wir ein verdächtiges, prasselndes Geräusch. Vater lugte vorsichtig aus dem Haus und stellte mit Entsetzen fest, dass unser Haus lichterloh brannte.
Während Vater und Mutter das Vieh aus dem Stall trieben, wurden meine drei kleineren Geschwister Therese, Josef und Amalie bei Nachbarn untergebracht. Nachbar August Kaiser half mir, Kleider und sonstige Habseligkeiten aus dem Haus zu tragen, doch schon bald konnten wir nicht mehr hinein, da glühende Balken die Treppe herunter stürzten.
Auch in unserer Nachbarschaft brannten mehrere Häuser lichterloh, dort verbrannte zum Teil das ganze Vieh, da niemand zu Hause war. Für die erste Zeit fanden wir in einem Zimmer Unterschlupf bei Nachbarn. Große Hilfe wurde uns in den folgenden Wochen beim Aufräumen durch gute Menschen aus dem Ort zu teil.



zz_schoeppHedwig Schöpperle, geb. Gleichauf (75)
Mit mehreren Kühen verließen wir vor Beginn der Kampfhandlungen den Ort und fanden zunächst Unterschlupf in den Siedlungen bei Familie Bernhard Ganter. (Buchhof) Da wir einige Kühe mitgenommen hatten, lieferten uns diese täglich wenigstens frische Milch. Auch deutsche Soldaten, die sich im nahen Randenwald abgesetzt hatten, kamen mit ihren Essgeschirren und erhielten diese direkt von den Eutern weg gefüllt.
Als die französischen Panzer zur Grenze vorrückten, durften wir auf einem Schweizer Bauernhof Zuflucht nehmen. Auf dem Weg dorthin, pfiffen uns Kugeln um den Kopf. Große Sorge bereitete uns Vater Justin, der immer wieder nach Hause ging, um nach Haus und Hof zu sehen. Doch schon am zweiten Tag kam er nicht mehr zurück.
Später erfuhren wir, dass er und ein weiterer Bürger mit einer weißen Fahne nach Blumberg gegangen waren, um stellvertretend für die Gemeinde um Verschonung vor weiterem Kampf zu bitten. Als wir nach Kriegsende nach Hause kamen, war unser Haus zwar beschädigt, aber es war von den Flammen verschont geblieben, obwohl einige Häuser in der Nähe abgebrannt waren. Von Vater aber kein Spur.
Zu unserer großen Freude kam er am folgenden Sonntag, als wir gerade beim kargen Mittagessen saßen, wohlbehalten bei der Türe herein. Die beiden Männer waren im Keller der Bahnmeisterei in Zollhaus von den Franzosen eingesperrt worden. Als sie in Blumberg einem Gefangenentransport überstellt werden sollten, gelang ihnen die Flucht und sehr behutsam gingen sie zu Fuß durch die Ihnen bekannten Waldungen am Buchberg und über den Wellblechweg vorbei an französischen Kontrollpunkten und kamen unbehelligt und mit viel Glück wieder bei uns zu Hause an.


zz_fischerErich Fischer (70) wohnt heute in Blumberg
Nie werde ich die schlimmen Tage des Kriegsendes in meiner damaligen Heimatgemeinde Fützen vergessen. Für meine Mutter Maria waren diese letzten Monate des Krieges besonders bedrückend und eine schier nicht zu bewältigende Herausforderung.
Ihr Mann und unser Vater Georg war seit Weihnachten in der Eifel als vermisst gemeldet worden. So stand sie mit mir und meinen beiden jüngeren Schwestern Erika und Gisela alleine auf sich gestellt vor der schweren Entscheidung, wie komme ich mit meinen Kindern durch. Schließlich, nachdem fast ganz Fützen dem Ort den Rücken gekehrt hatte, packte sie einige Habseligkeiten und schloss sich den Flüchtenden an Richtung Bergerhof und zur Schweiz.
Dieser Fußmarsch war lebensgefährlich, denn auf dem Weg Richtung Grenze flogen uns die Kugeln buchstäblich um die Köpfe. Auch wir fanden schließlich Unterschlupf in der Schweiz, für deren Hilfe in großer Not wir heute noch sehr dankbar sind.
Mit Bewunderung und Dankbarkeit denke ich heute noch an meine verstorbene Mutter, wie sie die schwere Bürde dieser Tage ertragen hat und uns Kinder heil und gesund im wahrsten Sinne des Wortes "durchgebracht" hat.
Obwohl damals erst zehn Jahre halt, haben mich diese Ereignisse nie mehr losgelassen und mein Leben geradezu geprägt. So habe ich mir schon bald vorgenommen, diese für Fützen und Umgebung so schlimmen Kriegsjahre zu erforschen und für die Nachwelt festzuhalten. Zum Glück hatte ich als ehemaliger Ministrant zum damaligen Pfarrer Ulrich Waibel einen guten "Draht".
An Hand seiner exzellent niedergeschriebenen Geschehnisse und nach Rücksprachen mit einigen älteren Fützener Bürgern, habe ich in mühsamer Kleinarbeit eine Chronologie jener Ereignisse niedergeschrieben und schließlich Herrn Paul Willimski, der im Jahre 1981 die interessante Chronik: "Fützen im Laufe der Zeit" verfasste, zur Verfügung gestellt. Mit Fützen und seinen Menschen verbindet mich auch heute noch eine große Freundschaft.


zz_turmProtokoll Pfarrer Waibel vom August 1945 in den Kirchenbüchern:
Der Kirchturm und das beschädigte Kirchendach sollen wieder repariert werden. Wenn die Ernte eingebracht ist, wollen die Männer von Fützen wieder freiwillige Hilfe leisten, der Rest soll in Taglohnarbeiten vergeben werden.
Gipsermeister Philipp Dörr wird das Gerüst liefern und aufstellen. Malermeister Benedikt Hotz leitet die "Bodenarbeit". 35 Sack Kalk sind vom Kalkwerk Weizen geliefert. 40 Sack Cement und 3000 anprobierte Biberschwänze sind von Schudel, Schleitheim zugesagt. Den Gegenwert leistet die politische Gemeinde in Holzlieferungen zugunsten der Kirchengemeinde. Letztere sind getätigt. Sand und Steine spenden verschiedene kath. Einwohner. Der ganze Turm mit vier Seiten und vier Schallöchern, die ebenfalls zerschossen sind, wird in Reparatur genommen.
Fützen, den 15. August 1945,
Waibel, Pfarrer und Geistl. Rat.

In einem späteren Bericht des Pfarrers ist zu lesen:
Am Kirchweihfest, 22.10. 1945, sind die Arbeiten in der Hauptsache beendet. Gipsermeister Dörr hat mit zwei Gesellen und zwei Hilfsarbeitern in 49 Tagen und 1638 bezahlten Arbeitsstunden Turm und Kirche am Bau repariert. Kosten: 7033.30 RM. ( + 3000.- Mark sonst. Kosten)
Malermeister Hotz hat mit 34 Arbeitstagen und 454 Arbeitsstunden die Leitung der freiwilligen Arbeit erledigt. Von 31 Helfern im Mai ging die Zahl auf sechs und vier herunter. Zehn Fuhrleute leisteten mit Kühen, Ochsen und Pferden Spanndienste. Geschenke von Ziegeln aus Grimmelshofen, Bretter von Hans Kring, Backsteine von Fützen, sowie freiwillige Geldspenden förderten die Arbeit.
Jetzt sollen noch die Kirchenfenster repariert werden. Dann ist die Kirche wieder bereit zum Gottesdienst. Deo Gratias und allen Mithelfern.
Pfr. Ulrich Waibel.

   Der stark beschädigte Kirchturm
                 wird renoviert
                 (Foto privat)

(26.04.05 - Bericht und Bilder: E. Schüle)