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Festbankett

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Bericht vom Festbankett  -  Vortrag Dr. Joachim Sturm

 

Bildergalerie vom Festbankett

 

 


Festbankett in Fützen
Fützen in Festlaune

Groß war die Zahl der Gäste, die am Samstagabend in die "Buchberghalle" nach Fützen gekommen waren, um der Gemeinde am Fuße des Randens ihre Referenz zu erweisen. So konnte der gut gestimmte Ortsvorsteher Ewald Gut gleich zwei Landräte begrüßen. Neben Landrat Karl Heim als oberster Dienstherr ist Landrat und MDL, Guido Wolf, ein ebenso treuer Besucher der Blumberger Raumschaft, wie ehedem sein Vorgänger Franz Schuhmacher, der ebenfalls wieder gerne nach Fützen gekommen war. Aus dem Raum Tuttlingen war des weiteren MDL Fritz Buschle mit Gattin anwesend.
Bürgermeister Matthias Baumann, als Schirmherr der an diesem Abend eingeläuteten Festwoche, hatte nicht nur seine Gattin, sondern einen ganzen Stab von Stadträten und Mitarbeitern, darunter Hauptamtsleiter Ralph Gerster mitgebracht. Als Gastredner sollte später Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm aus Villingen der wohl größte Part in der von der Abendsonne aufgeheizten Halle zukommen.
Willkommensgrüße des Ortsvorstehers gingen an Stadtpfarrer Edgar Wunsch, sowie an die wohl erstmals in Fützen weilende evangelische Pfarrerin Gabriele Remane. Altbürgermeister Ernst Basler Fützen, Martin Buri, Riedböhringen, Viktor Giner aus Kommingen, Hermann Barth und Ingrid Scheyer Riedöschingen, sowie Siegfried Leingruber, Epfenhofen hatten ebenso den Weg nach Fützen genommen, wie die Ortsvorsteher von Epfenhofen (Fluck), Hondingen (Fürderer), Kommingen (Baumann), Nordhalden (Happle), Achdorf (Bäurer) und Riedböhringen (Degen). Besonders erfreut zeigte sich Gut über die starke Abordnung aus der benachbarten Schweiz, mit Gemeindepräsident Urs Odermatt und Max Wirth, langjähriger Gemeindepräsident (i. R.) aus Merishausen.
Doch zunächst stimmte der Musikverein Fützen unter der Leitung von Karl-Heinz Hübl die Festversammlung auf das richtige Niveau ein. Der dann folgende Festvortrag von Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm war nicht nur ein Graben an den Wurzeln des geschichtsträchtigen Dorfes (Flecken) Fützen, sondern ein wahres Spinnennetz, dessen historische Fäden mit seinen damals "schwimmenden Grenzen" bis ins immerhin heute grenznahe Schaffhausen, aber auch entfernte Wien oder Frankreich (Napoleon) führten.
Fützen, so die Ausführungen des fachkundigen Redners, lag immer irgendwie im Einfluss - und Interessenbereich der oft wechselnden Herrschaften, weil es Zinsgeld und Erträge aus Wald und Landwirtschaft abwarf. In diesen Interessenkonflikten der damaligen "Weltmächte" erlebte Fützen durch Brandschatzungen, Plünderungen, Hungersnöte zum teil apokalyptische Zeiten. Russen, Schweden und Franzosen benutzten auf ihren Feldzügen den Raum um Schaffhausen immer wieder als Aufmarsch- oder Rückzugsgebiet. Erst als Fützen in den Verwaltungs- und Einflussbereich der Klöster (z. B. St. Blasien) kam, gab es allmählich geordnete Zustände. Allerdings nutzten auch die damaligen Kirchenoberen ihre Machtbefugnisse der Einflussnahme auf das Leben ihrer Untertanen.
So ist es nicht verwunderlich, dass es geradezu verblüffende Ähnlichkeiten mit der heutigen Zeit gab. Wurde Fützen in früher Zeit immer wieder zerstört und erniedrigt, so zerstörten im Jahre 1945 die Franzosen einen Großteil des Ortes. Andererseits herrschte aber, so der Redner, damals schon eine Art "Lichtenstein-Affären, denn die reichen Bauern brachten ihr "Schwarzgeld" ins zinsgünstigere Schaffhausen, wohin sie auch, angelockt durch bessere Preise, oft auch ihr Korn "auslagerten". Waren es früher die Herren von Blumegg , die in Fützen regierten, so sind es heute die "Herren" – Verwaltung - von Blumberg, die bestimmen, welche Fichten gefällt, oder welche Straßen geteert werden. Waren es in grauer Vorzeit Streitigkeiten über rechtlich fragwürdige Grenzmarkierungen (Schleitheim/Beggingen) aber auch Wilderer aus der nahen Schweiz, so ist es heute die "Landnahme" der Schweizer Agrarier auf der Gemarkung Blumberg/Fützen, oder gar die Eskapaden um die Einflugschneisen zum nahen Flughafen Kloten. Früher mussten die Bauern den "Zehnten" ihrer Erträge abliefern, heute hadern sie um Milchkontingente, Weizenpreise, und oft arrogante Einflüsse aus Brüssel. Selbst religiöse Spannungsfelder (z. B. 1875) im Vergleich zu denen in heutiger Zeit (Islam) wollte der profunde Archivar andeuten.
Doch es gab auch Positives zu berichten. So hatte Fützen in früherer Zeit das Marktrecht, die Hohe Gerichtsbarkeit und die Äbte von St. Blasien ließen im Fützener Pfarrhaus gar hochgeistliche Sitzungen abhalten. Zum kulturellen Erbe von Fützen zählen noch heute die Prachtbauten der Klöster, bei deren Bau der in Fützener gebrochene Alabaster Verwendung fand.
Auch Bürgermeister Matthias Baumann fand in der Entwicklung von Fützen rückwärts- wie vorwärtsblickend mehr Positives als Negatives und so meinte er unter dem Beifall der Anwesenden, hätte er eben vernommen, dass Fützen schon größere Katastrophen, als die durch die Eingemeindung nach Blumberg, überstanden hätte. So hätten die Bürger von Fützen sowohl nach dem Großbrand im Jahre 1910, als auch nach den großen Folgeschäden nach den Kämpfen im Jahre 1945 jeweils einen grandiosen Wiederaufbauwillen gezeigt. Das rege Vereinsleben zeige sich auch gerade in diesen Wochen bei der Ausrichtung der großen Feierlichkeiten zum Jubiläumsjahr in der Dorfgemeinschaft. Und, wenn auch im Kern die Bürger oft andere Sorgen als früher die Bürger bewegten, wie zum Beispiel die demografische Entwicklung betreffend, so seien die Berge und Täler dieselben geblieben und schließlich habe die Wutachtalbahn damals wie heute für Fützen und Blumberg das Tor zur Welt geöffnet. Heute aber gelte es, dem Stadtteil Fützen eine Referenz zu erweisen.
Bevor der Ortsvorsteher im weiteren Verlauf den Startschuss zu dem von der Stadt gesponserten Stehempfang mit reichlich kulinarischen Schmankerln, gab, lockerten schmissige Liedvorträge vom Jugendchor und der Schola (Kirchenchor) unter der Leitung von Renate Güntner das niveaureiche Abendprogramm weiter auf, wobei vor allem das im wahrsten Sinne des Wortes aus vollem Brustton vorgetragene Fützener Heimatlied: "Wir singen jetzt aus voller Brust, ein Lied von hellem Klang", von den Gästen mit reichem Applaus belohnt wurde. Ungeklärt bleibt bis zur Stunde, warum der Stuhl des als Hoher Gast gemeldeten Bundestagsabgeordneten aus Berlin, Siegfried Kauder, leer blieb. Ob er durch "König Fußball" von Fützen abgelenkt, oder von "Kaiserin Angela Merkel" zum Rapport geladen war, wird der enttäuschte Ortsvorsteher sicher noch eruieren. Vielleicht aber wollte er, da wohl mit dem Hubschrauber kommend, einfach den kerosingeschwängerten Luftraum kurz vor Kloten nicht noch weiter belasten. Über den weiteren Festverlauf werden wir berichten.
(22.06.08 - Bericht und Bilder: E. Schüle)

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Fotogalerie zum Festakt
 

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Vortrag von Kreisarchivar Dr. Joachim Sturm zur Fützener Ortsgeschichte
 


VitusFützen und dessen Erstnennung 1083

„Weil aber das Gedächtnis des Menschen schwach ist“, so hebt manche mittelalterliche Urkunde an, bedarf es eines sicht- und fühlbaren Zeichens für Ereignisse, welche die Zeiten überdauern sollen. Recht gesehen:

Wenn nämlich im Jahre 1083 ein Schreiber seine Entenfeder nicht in die Eisengallustinte getaucht hätte, um das Wort „Fützen“ aufs Pergament zu bringen, hätte es nicht das geringste Zeichen gegeben, dass wir heute ein Fest, ein Jubiläumsfest feiern sollen. Mit Händen zu fassen ist dieses gute Stück Kalbshaut allerdings nicht mehr, es ist untergegangen an unbekanntem Ort, in unbekanntem Jahr. Abt Martin Gerbert von St. Blasien hat letzte Zeugenschaft vom Vorhandensein abgelegt in seiner Geschichte des Schwarzwaldes vor über 200 Jahren, dann verliert sich die Spur.

Da hätten wir also den Schauplatz Fützen, - einst sicher schon eine alemannische Siedlung, da Plattengräber nachgewiesen sind. Und wer weiß, vielleicht deuten die an der heutigen Gemarkungsgrenze beim Schlatterhof aus der Erde ragende Mauern, die von einem römischen Gutshof unweit der Straße von Windisch nach Hüfingen stammen, von einer noch früheren Entstehungszeit. Fützen ist also sehr viel älter, als uns die Ersterwähnung glauben machen will, die uns einen bereits voll entwickelten Ort vorführt, dessen dritter Teil dem Kloster St. Georgen gehört.

Das Fützen von 1083 ist ein Dorf im sich überschneidenden Einflussbereich der entstehenden großen südwestdeutschen Herrschaften und Territorien und dennoch eine eigenständige Gemeinschaft, aus der heraus im weitesten Sinne kulturelle und wirtschaftliche Kräfte wirken, wie sich zeigen wird. Aber Fützen ist in jenen Jahren auch bereits ein Filetstück für seine Besitzer wie deren Neider. Stets findet sich eine interessierte Hand, um nach dem Ort zu greifen, dessen Lage, und Auskommen scheinbar den Mund wässrig macht. Fützen, das ist nach den vorhandenen Dokumenten mutmaßlich ein Schnäppchen, das bis ins 15.Jahrhundert hinein immer mal wieder auf den Markt kommt.

In dem hellen Licht der von Abt Gerbert erwähnten Urkunde von 1083 steht Fützen bereits so da, wie es sich lange Jahrhunderte bis in die Neuzeit charakterisieren lässt: Als Diener mehrerer Herren, als ein in gegensätzlichen politischen und religiösen Strömungen zuweilen arg zerzauster Ort, der trotz allem seinen Weg gerade bis zum Heute geht.

Wie die genauen Besitzverhältnisse 1083 ausgesehen haben, dazu fehlt die Kenntnis. Der in eben jenem Jahr von Papst Innozenz III. dem Kloster St. Georgen als Eigentum bestätigte „dritte“ Teil Fützens zeigt nur, dass wir den Ort als von nicht genannter weltlicher Macht verfügte Ausstattung zu sehen haben, die im noch immer brennenden Investiturstreit des päpstlichen Schutzes bedurfte, um dem Kloster nicht entrissen zu werden.

Wichtig für die Geschichte Fützens ist und bleibt, dass die Erstnennung 1083 unzweifelhaft aus einer kurz zuvor getätigten Schenkung eines „Sponsors“ des Klosters St. Georgen herrührt. Die mit dem Dorf verbundenen Einkünfte dienen nach der Verlagerung des Klosters auf die Schwarzwaldhöhen dem Ausbau oberhalb der Kinzig und östlich des Schwarzwaldkammes. Fützen ist ein regelmäßiges Zinsgeld abwerfender Immobilienbesitz zur Finanzierung des großen westwärts gerichteten Projektes der Schwarzwalderschließung. Es ist von 1083 an in die Geschichte der Schwarzwalddurchdringung und des Territorialausbaues verwickelt, bei der adelige Geschlechter wie die Zähringer, aber auch die von Zollern mit dem von ihnen geförderten Kloster Alpirsbach oder die Grafen von Sulz den Bereich des oberen Kinzigtales und seiner Zuflüsse besitztechnisch festigen.

Modern gesagt: das Fützen aus der Zeit der Erstnennung ist Teil des Investmentpaketes zur Erschließung des Gebietes zwischen der Muschelkalk-Buntsandsteingrenze und dem Waldgebiet der zur Kinzig führenden Täler durch die die Erschließung tragenden Mächte des südwestdeutschen Raumes.

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Und bereits 1083 gibt es unter dem politischen Dach der Zähringer eine Verbindung zwischen St. Blasien und Fützen. Diese besaßen nämlich die Vogtei des Klosters und bekamen auch einige Zeit später die Vogtei von St. Georgen in die Hand, die ja Fützen mitverwaltete. So zeichneten sich bereits von Anfang an Verbindungslinien, die im 16. Jahrhundert St. Blasien wohl den Ankauf der Ortsherrschaft erleichtert haben.

Kaum 15 Jahre später wird das Bild deutlicher. Seit 1092 ist Fützens Hochgericht als Teil des Nellenburger, später Mundat genannten Wildbannbezirkes ein dem Klosters Allerheiligen geschenkweise zur Ausstattung überlassenes Eigentum. Aus dessen großem Besitz wird sich die Stadt Schaffhausen herausschälen und mit dem Ankauf der Mundat auch diesen Teil der Fützener Ortsherrschaft zumindest bis Ende des 15. Jahrhunderts unangefochten in der Hand behalten.

Und 1099, diesmal wird der Schenker genannt, übergibt schließlich Adelbert von Zollern einen weiteren Fützener Teil seinem neugegründeten Kloster Alpirsbach.

So finden wir den Ort praktisch von der ersten urkundlichen Nennung an zerrissen zwischen weltlichen und kirchlichen Herren, und dies in einer zugleich aufgewühlten Zeit. Es sind die Jahre der Spaltung, des „Schismas“, wo der Kampf um das Herzogtum Schwaben entbrannt ist und König und Gegenkönig sich bekriegen, wo in fast jedem Kloster Abt und Gegenabt sitzen, kurz, wo durch die Zeitumstände Eigentum und Besitz auf schwachen Füßen stehen. Andererseits ist es auf der regionalen Ebene die Möglichkeit zu einem Aufbruch und einer Neugestaltung der Verhältnisse, da sich erst 1098 mit dem aus dem geteilten Herzogtum hervorgehenden „Staat“ der Zähringer eine neue Ordnung etabliert. Dass gleichzeitig mit Fützen auch Hüfingen 1083 erstmals und im Zusammenhang mit einer rückgängig gemachten Schenkung an das Kloster Allerheiligen erwähnt wird, zeigt, wie stark die Baar-Orte von jenem Tauziehen berührt waren.

Fützens Entwicklung ist nie die eines in einem eindeutigen, rechtseinheitlichen Territorium liegenden Ortes gewesen , der unter klarer Führung auf die Gegenwart schreitet. Hier kreuzen sich unterschiedliche Interessen und Ansprüche, hier leben die Dorfbewohner in einer Grauzone, mit der sie sich über die Jahre gut arrangieren und deren Spielräume sie zuweilen auch ganz gezielt nutzen.

So wäre es ja auch zu einfach gewesen, dass nach dem Aussterben der männlichen Zähringer Fützen sofort an den sich seit 1250 zu Fürstenberg nennenden Zweig der Grafen von Freiburg-Urach gegangen wäre. Nein, das 1245 aufscheinende örtliche Ministerialengeschlecht der Herren von Fützen war augenscheinlich dem Freiburger Haus, d.h. Graf Konrad verpflichtet. Fützen lag damit an einem Reibungsbereich zu den Fürstenbergern, die es auch dann nicht erwerben konnten, als das Freiburger Grafenhaus sich aus dem Ort zurückzog. Besitzer wurden letztendlich die aus dem Feldkircher Raum stammenden Herren von Blumegg, wobei vermutlich familiäre wie politische Gründe eine Rolle spielten.

Wer glaubt, dass mit dem ausgehenden Mittelalter und der Herausbildung der ersten festgefügten regionalen „Großmächte“ Ruhe im Dorf einkehrt sei, der irrt. Fützen bleibt Objekt im Bereich sich überschneidender Interessen. Allein aus dem Auseinanderfallen von Hochgericht – in den Händen Schaffhausens - und Niedergericht bei Anfangs wechselnder Herren ergaben sich Spannungen, die erst 1722 mit dem Verkauf des Malefizgerichts an den Niedergerichtsherren St. Blasien ein Ende fanden.

Kleine Adelsgeschlechter, vorwiegend aus der Sphäre des Hauses Habsburg, liefern sich ein Verkaufsmarathon der Niedergerichtsbarkeit, bei dem am Schluss St. Blasien Sieger bleibt. Den Habsburgern war dies sicher nicht unrecht, denn waren die Besitzungen solcher Herren doch geeignet, die von ihnen gesuchte Landbrücke zwischen den elsässischen und hegauischen Besitzungen zu stützen.

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Zunächst griffen als habsburgische Parteigänger zu identifizierende Niederadelsgeschlechter aus dem Vorarlberger Bereich nach Fützen als einem Filetstück der Herrschaft Blumegg. Möglich war dies, weil der durch zu aufwändiges Leben, mit einer Fürstenbergerin verheiratete Blumegger in den finanziellen Ruin geriet und, wie auch bei heutigen Adelshäusern nicht unbekannt, den Verkauf als letzte Chance und Konsolidierungsversuch begriff. 

So fällt Fützen als Zubehör zur Herrschaft Blumegg 1366 an die Bonnndorfer Linie der aus Vorarlberg stammenden Herren von Wolfurt. Die durch Militärdienste reich gewordenen, durch verwandtschaftliche Verbindungen in der südlichen Baar gut etablierten männlichen Wolfurter hält es jedoch nicht im Raum, obwohl sie kurzfristig die Pfandschaft Bräunlingen (1405/06) innehaben und mehrere st. -blasianische Lehen besitzen. Ihr Interesse gilt Altenburg in Ungarn, wo bereits Verwandte aus anderen Linien ihr Glück machen.

Die 1415 dann unvermittelt auf den Plan tretenden neuen Aufkäufer Fützens, die Herren von Friedingen, sind Territorialnomaden auf der Suche nach einem neuen Land und einem neuen Wohnsitz. Ihre Besitztümer im Bereich des Heuberg / Bussen, aus Gründen besseren Verkaufs zuvor aus Lehen in Eigentum verwandelt, haben sie abgestoßen und entdecken nun die zum Erwerb stehende Herrschaft Blumegg mit Fützen. Entnervt jedoch durch die aus dem Ankauf entstandenen Streitereien mit den Erben derer von Wolfurt, wie auch geschwächt durch die Zerstörung Fützens in der Fehde mit dem Herzog von Urslingen 1430, ergreifen sie die Gelegenheit des Weiterverkaufs an St. Blasien, das selbst – aus gleichem Grund – vier Jahre später zu einem vorübergehenden Verkauf an die von Hallwyl schreitet. Türing II. von Hallwyl, Sohn einer in zweiter Ehe mit einem Schellenberger vermählten Frau von Wolfurt, heißt der neue Besitzer. Als Parteigänger des Herzogs von Österreich und mit gefülltem Geldbeutel schien er sich außerhalb der schweizerischen Gebiete einen Rückzugsort anlegen zu wollen. Die Eidgenossen nämlich betrachteten ihn feindselig und hatte schon das eine ums andere Mal seine Güter mit Beschlag belegt.

Und als das inzwischen auch wieder finanziell besser gestellte St. Blasien sich in Partnerschaft mit der Reichenau zum Rückkauf geneigt zeigte, war nun auch der immer mehr in die schweizerisch-österreichischen Auseinandersetzungen hineingezogene Türingg III. von Hallwyl bereit, das Gut seines Vaters fahren zu lassen.

Dass schließlich ab 1466 St. Blasien bis 1803 zum Alleinbesitzer mit einigen Abstrichen der Herrschaft Blumegg, und damit Fützens werden sollte, ist kein Zufall.

Schon seit dem Mittelalter hatte der Name des noch vor der Wende zum Jahre 1000 gegründeten Klosters einen guten Klang. Waren doch die Zähringer wie bereits erwähnt sowohl Vögte des Klosters St. Georgen wie von St. Blasien und hatte das Kloster selbst versucht im Ort Rechte zu erwerben. Um 1270 schon erscheint in den Urkunden gar ein Heinrich von Fützen, den manche für einen st.-blasianischen Mönch halten.

Dem recht geräuschlosen Übergang der Herrschaft Blumegg mit Fützen an St. Blasien folgten fast drei Jahrzehnte, in denen das nun mit dem Niedergericht die faktische Ortsherrschaft ausübende Kloster auch mit dem Hochgerichtsherrn Schaffhausen ein Auskommen fand.

Dann allerdings liefen die Dinge wegen des kaiserlichen Missmutes über die vom Reich immer unabhängiger werdende Stadt aus dem Ruder. Als Strafe wohl und in stets bestrittener Rechtmäßigkeit entzog ihr Kaiser Friedrich III. 1492 Blutbann und Halsgericht auch über Fützen und übergab die Hochgerichtsbarkeit so an den Abt von St. Blasien. Kaiser Maximilian hat 1496 dem sankt-blasianischen Abt das Hochgerichtslehen wider alles besseren Wissens bestätigt.

Den ortsansässigen Bösewichtern ist dies auch gleich aufgefallen, dass sich hier eine Grauzone auftat, weil niemand zunächst wusste, wer den nun am Ende für das Hochgericht wirklich zuständig sei. Sie glaubten jetzt ungestraft handeln zu können, weil man den einen gegen den anderen Gerichtsherren ausspielen könnte.

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Doch ihre Freude über die unklare Gerichtzuständigkeit währte nur kurz. Ungeachtet des Rechtszustandes übernahmen nämlich meist die rasch greifbaren sankt-blasianischen Beamten den Fall und es ist nicht bekannt, dass je einer der strafrechtlich Belangten von der Gegenseite wieder auf freien Fuß gesetzt worden wäre.

Trotz eines ersten Vergleichs 1505 über die künftige Vorgehensweise hat diese nahezu dreihundert Jahre ungelöste Kompetenzproblematik Fützen als unschuldiges Opfer dennoch in die Zwickmühle gebracht, da immer eine der Streitparteien etwas zu bemängeln hatte. An gutwilligen Versuchen des Ausgleichs hat es dazwischen nie gefehlt, wie zuletzt in dem zwischen Schaffhausen und St. Blasien geschlossenen Vergleichsvertrag 1722. Und überhaupt ist Schaffhausen trotz all der durch die Geschichte bedingten rechtlichen Unklarheiten und Rechtszersplitterungen den Fützenern bis heute ein guter Nachbar geblieben. Bei Streitschlichtungen wie zum Beispiel 1529 bezüglich des Zehnten zwischen dem Pfarrer von Fützen und der Reichenau war die Stadt eine neutrale, wohlwollend handelnde Schlichtungsstelle.

Zu dieser rechtlichen Uneinheitlichkeit, d.h. dem Auseinanderfallen von Hoch- und Niedergericht, gesellte sich seit dem Mittelalter eine für die dörfliche Gemeinschaft mindestens ebenso bedrohliche Unsicherheit bezüglich der Gemarkungsgrenzen.

Die unablässigen Streitereien mit Nachbarn wie Beggingen oder Grimmelshofen über die tatsächliche oder nur geglaubte unberechtigte Nutzung des Fützener Bodens schufen eine Missstimmung unter den Nachbarn, die das Zusammenleben insgesamt beeinträchtigte. Dies kann heute nur verstehen, wer um die hohe Bedeutung von Feld und Boden damals weiß. Dies waren stets gefährdete einzige Existenzgrundlagen und jede noch so kleine verlorene Fläche konnten Ernährung und Auskommen merklich verschlechtern.

Die Reibereien mit Beggingen wurden 1592 aktenkundig, dauerten bis zur Beilegung 1644/45 durch Vertrag, aber flammten immer wieder einmal auf bis 1722, wo letztmalig Eingriffe des Begginger Jägers in den Fützener Wald feststellbar sind. Mit Blumberg stritt man sich 1590 über die Grenzsteine, mit Blumegg 1708 über die Unterhaltung des Wutachsteiges. Die Liste der Zwischenfälle ließe sich noch etliche Zeit fortführen, doch zeigen schon die wenigen Beispiele wie tief und wie kontinuierlich hier das bäuerliche Alltagsleben überschattet war. 

Wenn man weiß, mit welcher Verbissenheit heute mancher Gartenbesitzer seinen Nachbarschaftsstreit bis zum Oberlandesgericht ausficht, kann man sich vorstellen, wie schwer diese ständige Grenzunsicherheit einer landwirtschaftlich geprägten Dorfgemeinschaft fiel. Das Verschwinden von Grenzsteinen durch Naturgewalten, Grundstücke, die lange im Erbgang und daher eher erfühlt denn lagemäßig genau bezeichnet waren zwangen die Dorfgemeinschaft zu ständiger Stabilisierung im Innern und in permanenten Konflikt mit den Anrainern. Wir heutige, deren Satelliten Grundstücke auf den Quadratzentimeter genau lokalisieren und verorten, deren Gemarkungsgrenzen durch Landvermesser geschützt werden, haben nur eine schwache Ahnung, von dem, was in den Köpfen der Fützener vor sich gegangen sein mag. Zwar halfen immer wieder die von St. Blasien angesetzten Neuaufnahmen der Urbare, den Grundbuchvorläufern, doch erst mit der modernen Landvermessung- und Eigentumsbestimmung an der Wende zum 19. Jahrhundert trat Frieden ein.

Gesagt werden aber muss auch, dass nicht alle über die zuvor geschilderten Zustände unglücklich waren. Die vor allem wegen der ungeklärten Gerichtsbarkeit zwischen St. Blasien und Schaffhausen entstandene Grauzone war manchem eher recht und ließ die Versuchung zu Gesetzesverstößen groß werden.

Grub doch 1718 ein Schleitheimer Bürger unter Hinweis auf eine angebliche Genehmigung aus Schaffhausen auf Fützener Äckern nach Gips. Und ein andermal, so schreibt der Ortschronist Willimski, trieben sich wochen- und monatelang nächtens Wilderer aus Beggingen durch die Wälder in der Hoffnung, ihr Frevel auf fremdem Gebiet fände keine Bestrafung. Doch weit gefehlt. Trotz aller Ansprüche und ungeregelten Hoheitsrechten fanden Schaffhausen und Fützen auf der Ebene des täglichen Miteinander zu einem Ausgleich. Kaum erhielt der Fützener Jäger die Verhaftungsbefugnis, verschwand der Spuk so schnell er gekommen war.

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Umgekehrt nutzten clevere Fützener beispielsweise 1771 entstandene Preisdifferenzen in der Landwirtschaft, um ihr Einkommen an der st .-blasianischen Steuer vorbei aufzubessern. Anstatt alles Getreide brav im Klosteramt zu belassen, führten sie dieses heimlich nach Schaffhausen aus. Da St. Blasien dort ein Getreidelager unterhielt, fiel dies zunächst nicht auf und erst ein neidischer Nachbar, der dem Ortsvogt anscheinend ein Papier mit Aufstellung der Fahrten und Einnahmen zukommen lies, brachte den Betrug ans Licht.

Und auch in Sachen Geld könnte es manchem schlauen Fützener nicht allzu schlecht gegangen sein. Der Ort war damals noch nicht einer einzigen Währungszone zugeordnet. Man jonglierte mit Schweizer, Schaffhauser Geld so gut wie mit Gulden, wohl das Währungsgefälle ausnutzend und die Waren hier mal dort einkaufend, wo es eben günstiger war.

Beim grenznahen Aichhof (Eichhof) als eines am Gemarkungsrande Fützens liegenden kleinen Siedlungskomplexes war die rechtliche Lage ebenfalls lange Zeit unklar, bis man auch hier einen Kompromiss fand. Obwohl aus dem Besitz des Klosters Rheinau herrührend und daher dem Schaffhauser Stadtrecht unterstehend, wurde von Fützen aus die niedere Gerichtsbarkeit gegen eine nach Schaffhausen zu entrichtende Jahresgebühr bis kurz vor 1780 Jh. hinein ausgeübt. 

Das kleine Glück jener Jahre wurde allerdings durch das Mächtespiel im süddeutschen Raum getrübt. Kriege zogen herauf, Auseinandersetzungen bedrohten das tägliche Leben. Zunächst noch muss das Dorf zufälliger- und glücklicherweise in dem Entstehungskampf der Schweizer Eidgenossenschaft in ihrer Loslösung vom Reich glimpflich davongekommen sein. In der Nahtzone zwischen Schaffhausen und dem Habsburgerreich, im Hegau und auf dem Randen verursachte der Schweizer- oder Schwabenkrieg 1499 große Zerstörungen, nahm Fützen allerdings aus. Das mag wohl auch diesem besonderen Verhältnis geschuldet sein, dass sich hier sowohl Schaffhauser als auch dem reichstreuen Adel und Klerus zuzurechnende Gerechtsame trafen und beide Seiten daher ein Interesse an Schonung hatten, um ihren eigenen Besitz nicht zu zerstören.

Die Lage am West-Ost-Weg und am Rand der Eidgenossenschaft hat dann aber doch noch furchtbaren Tribut gefordert. Weniger der bereits Tod und Verderben nach sich ziehende Bauernkrieg von 1525 warfen das Dorf weit zurück, denn die ständigen Durchzüge der Truppen zu Zeiten des 30jährigen Krieges.

Nach kaum einem halben Jahrhundert ungestörten Daseins kam erneute Heimsuchung. Die Errichtung des Hauptquartiers der österreichischen Generalität im Pfarrhaus während des Spanischen Erbfolgekrieges 1709/10 blieb für Fützens Hühnerställe und Getreidespeicher nicht ohne Folgen und das in Scharen im und um den Ort lagernde Militär schleppte Seuchen ein, die einen Bevölkerungsrückgang bewirkten.

Wirklich apokalyptische Zustände jedoch, wie man sie erst in den letzten Apriltagen 1945 noch einmal durchleben musste, waren den Revolutionskriegen geschuldet. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem Fützen wie das ganze Fürstbistum St. Blasien die goldene Endzeit einer kulturellen Hochblüte erlebte, wurde alles in Frage gestellt. Wieder einmal war die Lage am günstigen Ost-West-Durchmarschweg am südlichen Schwarzwaldrand und unweit einer in der Militärstrategie bedeutsamen Nord-Süd-Verbindung schuld, dass die Gegner den Randenort als Etappenziel wählten. Am 18. Juli 1796 hielt der österreichischen Brigadegeneral Wolf mit 4.000 Mann sich an allem bedienend Rast , am 30. Juli folgte sein Gegner, der französische Brigadegeneral Baillard und störte mit seinem zwischen 19.00 und 24.00 Uhr erfolgenden Durchmarsch nicht nur die Ruhe der von Spanndiensten erschöpften Fützener. Am 7. Oktober dann ging das Ganze rückwärts, die Franzosen zogen sich nun mit 6.000 Mann, Kanonen und Tross durch Fützen in den Westen zurück, und ihnen folgte Wolf auf dem Fuße, der sich nur zu gut der angenehmen Unterkunft im Pfarrhof entsann und wiederum mit allen Bedrohungen für die Einwohner vom 15.-19. Oktober dort logierte.

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Kaum zwei Jahre währte eine trügerische Ruhe, dann kam aus Richtung Schaffhausen der erste Hauch revolutionärer Umwälzungen. In Merishausen, etwa eine Stunde zu Fuß von hier entfernt, traf sich eine mitternächtliche Versammlung zur Wahl der „revolutionären“ Deputierten. Ab Anfang Oktober (1798) waren 3.000 Mann französischer Truppen in Schaffhausen einquartiert, das Ende der alten Stadtverfassung war gekommen.

Um Fützen herum brodelte es. Ende März, Anfang April 1790 zogen sich die Franzosen nach der verlorenen Schlacht bei Stockach zurück , ihnen folgten die Österreicher und die mit ihnen verbundenen Russen, in Schaffhausen kam es erneut zu Kämpfen.

Aus militärischer Sicht folgte eine fast zehnjährige Verschnaufpause. Erst als die Russen nach der verlorenen Schlacht bei Zürich im September 1799 zurückmarschierten und Schaffhausen am 1. Mai 1800 bei heftigen Straßenkämpfen zurückerobert wurde, wehte noch einmal Kanonendonner über den Randen und streiften Versprengte und Marodeure durch die am Rande der Kampfzone liegenden Dörfer. Mit dem Durchzug von General Ferinos Division in einer Stärke von 8.000 Mann am 5. März 1800 schließlich war der Tiefpunkt erreicht. Verarmt, teilzerstört und ausgehungert musste in unsicherer Zeit neu begonnen werden. Dazu kam der Zerfall des herrschaftlichen Rahmens, der so lange Schutz geboten hatte. Säkularisation und die Aufhebung der Klosterherrschaft St. Blasien rissen Fützen 1803 in einen Strudel, aus dem es erst Jahre später als großherzoglich-badische Gemeinde wieder herausfand.

Man darf jedoch nicht meinen, als seien das letzte Jahrzehnt vor 1800 und die ganzen Jahrhunderte unter dem Abtsstab nur Heulen und Zähneklappern gewesen.

Eher im Gegenteil, es war auch die Epoche eines stillen, aber immer wieder aufblühenden Lebens, während dessen sich vor allem zum Ende der st.-blasianischen Epoche Zeugnisse der Baukultur und des geistigen Lebens zeigten, die bis heute den Ort prägen.

St. Blasien etablierte eine Ordnung, welche im Großen und Ganzen eine in sich ruhende, stabile, jedoch auch geschlossene soziale Gemeinschaft zur Folge hatte.

Neben der klaren Durchsetzung und Praxis des religiösen Bekenntnisses – katholisch sein und bleiben oder gehen , Respekt vor Feiertagen - wird vor allem Wert auf die moralische und menschliche Integrität der Dorfelite wie der Dorfgemeinschaft gelegt. Der anzustellende Grundschulrektor (damals Schulmeister genannt) hatte daher nicht nur gläubig, sondern vor allem auch „charaktervoll“ zu sein. 

Und auch bei den Jahrtagen, den damaligen Bürgerversammlungen, wurden die guten Umgangsformen explizit eingefordert, Kritik in sachlicher Form jedoch akzeptiert.

Allerdings kann man in den dem Dorf auferlegten Lebens-Bestimmungen Antwort auf die Gefährdungen der Zeit: Die Reformation und später die Aufklärung sehen. Was wir heute im Islamismus erkennen, lässt sich auch im damaligen Fützen nachweisen: Strikte Befolgung der Religion durch Kirchgang, Fasten, Fernhalten vor weltlichen Genüssen, und insgesamt eine enge Kontrolle der Lebensführung, von der wir uns keine Vorstellung mehr machen.

Andererseits jedoch achteten die Äbte St. Blasiens vor allem ab dem 18. Jahrhundert auf eine medizinisch-soziale Infrastruktur, die selbst heute in dieser Form nicht mehr besteht. Ein Bader – nach heutigem Verständnis die Praxis eines Allgemeinmediziners und Hausarztes, in der auch chirurgische Eingriffe ausgeführt wurden und der auch eine lokale Apotheke führte, hatte hier sein Auskommen. Den Arzt, der, weil Anfang des 18. Jahrhunderts „Chirurgus“ genannt, wohl zugleich Facharzt war, plagten ähnliche Sorgen wie seine Standesgenossen unserer Tage. Zwar waren seine Kranken durchweg Privatpatienten, eine Krankenkasse gab es damals noch nicht, doch musste auch er bereits auf Konkurrenz achten und wollte zudem die Praxis seinem Sohn vermachen. Ein aus Ungarn zurückkehrender Physikus, der gar zu gerne ein Kabinett in Fützen eröffnet hätte, erhielt daher keine Erlaubnis, um dem zur Zufriedenheit arbeitenden Ortsansässigen Einkommen und Patientenzahl zu erhalten. Die ärztliche Überwachungsstelle am Obervogteiamt Ewattingen schützte eben ihr Landeskind.

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Und wenn heute die Frauen aus Fützen zur Geburt nach Stühlingen oder gar nach Villingen müssen, dann hatten es ihre Vorgängerinnen insofern leichter, als eine kontinuierlich durch eine Hebamme betreute Geburtsstation am Ort zu finden war. 

Sozialwesen- und Gesundheitswesen: Auch hier kann man feststellen, dass sich einiges tat. Alten- und Pflegeheime, wie sie heute in jeder Ortschaft aus dem Boden sprießen, waren damals völlig unbekannt. Wer sich im Dorf zum Mittelstand und darüber zählte, für den war es selbstverständlich, die Altersversorgung der Eltern selbst in die Hand zu nehmen. Zahlreiche „Leibgedinge“ entstanden, eine ganz spezielle Wohnform, in der Senioren selbstbestimmt und so lange aktiv wie möglich den Lebensabend verbringen konnten.

Auch auf wirtschaftlichem Gebiet sah sich das Klosteramt ganz im Sinne einer kirchlichen Aufklärung verpflichtet. Der zunehmenden Bevölkerung suchte man weiteres Land zur Verfügung zu stellen, es galt die Leute im Land zu halten und nicht wie kaum 100 Jahre später in Baden zur Auswanderung zu animieren.

Gegen Ende des 18. Jh. kam es gar zur Einrichtung oder Vergrößerung neuer Handwerke wie das einer Wagnerei oder einer Küferei, ganz im Gegenteil zu anderen durch kirchliche Institutionen verwalteten Gebieten wie z.B. die Rottweiler Bruderschaft, die mit einer strikten Kolonialpolitik ihre Dörfer wirtschaftlich so weit zurückwarf, dass die Schwächen teilweise erst kurz vor dem 1. Weltkrieg ausgeglichen waren.

Und zugleich erkennt man vielleicht auch zaghafte Ansätze einer Sommerfrische, ähnlich den Refugien des kleinen Adels außerhalb der Grenzen St. Blasien. Die Rede ist vom Hofgut des in den Adelsstand erhobenen Fützeners Conrad Gleichauf alias Freiherr von Gleichenstein, das 1775 vom „Hausmeister-Service“ des Tausendsassa Fridli Gleichauf, zugleich Fützens größter Landwirt, Gastwirt und etliches mehr betreut wird

In solcher von uns aus gesehen geistigen Enge und zugleich christlichen Fürsorglichkeit entsteht das kostbarste architektonische Ensemble des Dorfes, das alle Fährnisse überdauert hat und das bis heute den Ortskern prägt: Die St.Vitus-Kirche und der ihr angeschlossene Pfarrhof.

Die unter Abt Kaspar II. 1571-1574 errichtete Kirche, der 1562 ein Pfarrhaus vorangegangen war, erfuhr im Barock 1765-1768 dann jene großartige bauliche künstlerische Erneuerung, in der sie uns auch heute noch erscheint. Der Pfarrhof mit Pfarrhaus war zwar 50 Jahre vorher -1717 – als Neubau bereits auf die Höhe der Zeit gebracht worden, doch wurde er nun so erweitert, dass er seine Rolle als beeindruckender Treffpunkt und geistiges Zentrum erfüllen konnte. Hierfür hat Abt Martin II. Gerbert gesorgt, dessen Wappen noch heute an der Vorderfront prangt, und der mit der baulichen Verschönerung Fützens seinem aus dem Ort stammenden Vorgänger Abt Martin (1596-1625), Martin Meister mit bürgerlichem Namen, hier eine Reverenz erwies

Die von den baufreudigen Äbten in unmittelbarer Nachbarschaft angelegten großen Weiher sind leider verschwunden. Sie hätten dem heutigen Betrachter eine dörfliche Idylle geboten, wie sie nur noch selten zu sehen ist.

Wenn man all dies überblickt, so drängt sich einem das Gefühl auf, Fützen sei auf dem Wege zu einem Verwaltungszentrum gewesen, hätte die Kraft und Ausstattung gehabt zu einem Mittelzentrum. Denn zu all den genannten Einrichtungen kam noch ein Jäger, eine Art Forstamt also und der zu einem Versammlungsort zu einer immer größeren Zahl von Geistlichen gewordene Pfarrhof war auf dem besten Wege zum Dekanat. Dabei sei das spätestens seit 1561 nachweisbare Marktrecht oder die Tätigkeit des Münzwechslers nicht vergessen, die in anderen Gemeinden der Region die Stadtwerdung gefördert haben.

 Eine Oase des Friedens oder gar des Wohlstandes allerdings ist Fützen nie gewesen. Nicht allein die Malstatt, die bis zum Beginn des Großherzogtums funktionierende Richtstatt, erinnert daran, dass Einzelne stets das friedliche Zusammenleben störten Die überkommenen schriftlichen Zeugnisse sprechen von Sittlichkeitsverbrechen, von Morden, kurz von der ganzen Bandbreite eines selbst in den friedlichsten Orten schlummernden Gewaltpotentials. Und man darf nicht die doch auch abseitige Lage Fützens vergessen. Zu vermuten ist beispielsweise, dass die im Mai 1761 in einem Großaufgebot an Ordnungskräften versuchte Zerschlagung von Banden im Achdorfer Tal manch einen auf das Klosterterritorium und nach Fützen trieb. Nicht umsonst stand wohl das Verbot der Beherbergung von „Landfahrern und Strolchen“ im dörflichen Gesetzbuch.

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Und auch das Bild einer moralisch gefestigten, wertebewussten Dorfgemeinschaft stimmt nur als Idealvorstellung. Größere Feste zogen nur allzu oft große Saufgelage nach sich, und selbst die an jenen Tagen diensthabenden Nachtwächter mussten mit Strafandrohung davon zurückgehalten werden, in den von ihnen kontrollierten Festen und Orten zu versumpfen. Zu all dem sollten die mindestens drei Schankstätten erwähnt werden, die seit unvordenklichen Zeiten Gelegenheit boten den auf dem Einzelnen lastenden moralischen Druck zu lindern, sprich zu ertränken.

Das Erwerbsleben war nach unseren heutigen Vorstellungen unsagbar kümmerlich und in weitestem Sinne mit der Landwirtschaft und Naturprodukten verbunden. Selbst größere Bauern wie ein Friedlin Gleichauf, der 1780 154 Jauchert (= 58 Hektar) bewirtschaftete, waren gegen den Ruin nicht gefeit. Die wirtschaftliche Basis war schmal und stets durch Viehseuchen, Dürren oder Unwetter gefährdet.

Und wie heute gab es Unternehmen, denen durch Preisverfall, Versiegen der Rohstoffquellen oder Technologiewandel der wirtschaftliche Boden entzogen wurde. Ein Beispiel hierzu ist der Salpeterer. Am Anfang gut gehender, mit Exklusivkonzession versehener Rüstungsbetrieb mit dem für Feuerwaffen gesuchten Produkt Reinsalpeter, das sich aus den Viehställen und feuchten Kellerwänden gewinnen ließ, geriet der Beruf kurz vor Ende der sankt-blasianischen Zeit in die Krise: Die Ausbeute in den Ställen und auf den Weiden wurde immer geringer und

am Ende konnte der fürs Geschäft gewonnene Blumberger Wirt Andreas Münzer 1787 gar seine Geschäftsbedingungen dem Auftraggeber diktieren, weil dieser ihn für alle Eventualitäten unbedingt im Amt behalten wollte.

Etwas mehr Glück hatte man mit dem Gipsgraben, das bis durchgehend 1977 eine der Erwerbsquellen wurde, wenngleich nicht alle davon profitierten. Die 1755 nach etlichen Wirrungen von den Brüder Gleichauf erlangte und weidlich ausgenutzte Konzession bescherte dem örtlichen Taglöhner- und Fuhrmannsgewerbe einen kleinen Boom, der bis in die Anfangszeiten des Großherzogtumes anhielt. Das Dorf stellte sie allerdings vor eine Zerreißprobe, da die nicht am „Gipsrausch“ Verdienenden durch ihren Sozialneid das Dorf in der sogenannten „Gipsrevolte“ entzweiten. Beinahe wäre gar die Situation eskaliert und hätte sich zu einem zwischenstaatlichen Konflikt ausgeweitet. Die eng mit dem Gipsabbau verflochtenen wirtschaftlichen Kräfte in Schaffhausen nämlich, die über das der Stadt in Fützen verloren gegangene Bergrecht erzürnt waren, unterstützten die Enttäuschten und fachten somit die Auseinandersetzung erst recht an.

Die Wiederaufnahme des Betriebes 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg schuf noch einmal einige Arbeitsplätze. Drei waren es zuletzt nur noch, die schließlich 1977 wirtschaftlichen Überlegungen der letzten Betreiberfirma zum Opfer fielen. Heute noch zeugen rund 26 km Stollen von jenem sehr speziellen Bergbau, der bereits im ausgehenden Mittelalter seinen Anfang nahm.

Erwähnenswert, weil nicht unbedingt alltäglich, war Fützens Engagement im Gastgewerbe. Die im Gemeindeeigentum stehende Gastwirtschaft Zum Wilden Mann – eine Anspielung auf den damaligen Bürgermeister?? - wurde wohl wegen zu erwartender höherer Pacht gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Dorf an die stärker frequentierte und neu renovierte Landstraße versetzt. Dem Hirschenwirt, der ebenfalls an Ortswechsel und Renovierung dachte, war dies wegen der Konkurrenz ein Dorn im Auge ebenso wie Klaus Müller vom 1781 neu eröffneten Klausenhof, dem man als grenznahem Anziehungspunkt für Spitzbuben lange Jahre die Konzession entzogen hatte. 

Doch zurück noch einmal zur übergeordneten Politik.

Es ist keineswegs ein Charakteristikum nur unserer Zeit, dass kleinere Gemeinden wie Fützen oftmals Opfer überregionaler Interessen werden, auch wenn heute der Kompensationsgedanke und Umweltverträglichkeitsgesichtspunkte eine sehr viel stärkere Rolle spielen.

Man muss nicht einmal das Anflugproblem auf Zürich bemühen, um zu erkennen, welchen Belastungen auch Fützen im Laufe der Jahre und bis heute ausgesetzt war.

Die im Rahmen europäischer Auseinandersetzungen erfolgten Zerstörungen und Eingriffe durch in Zahl und Herkunft unterschiedlichste Militärformationen wurden bereits erwähnt. Aber auch im Rahmen der normalen Verwaltung kam es zu Engriffen in die dörfliche Unversehrtheit, die zeigen, wie stark Fützen von übergeordneten Interessen abhängig war und unter Entscheidungen zu leiden hatte, die andernorts gefällt wurden.

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Die bis zur Errichtung der Umgehungsstraße B 314 Mitte der 1990er Jahre schwer zu ertragende Verkehrsbelastung auf der Achse Singen-Waldshut-Lörrach wird dabei erstmals im 18. Jahrhundert deutlich erkennbar. Ab 1748 nämlich ließ die fürstenbergische Regierung nach Ausbeutung aller Holzressourcen um den Hohenhöwen das dort gewonnene Bohnerz auf Fuhrwerken nach Eberfingen zur Verhüttung bringen. 8.000 Kübel Erz rollten nun jährlich zusätzlich zum normalen Transportverkehr durch die Ortschaft und ruinierten Fützens Wege. Aus bisher nicht aufgedeckten Gründen hatte St. Blasien dabei die Fürstenberger vom Weg- und Brückenzoll befreit, dessen Einnahmen der Straßenunterhaltung gedient hätten.

Die st.-blasianische Epoche ist, um sie abschließend zu würdigen, jedoch in Kunst und Kultur die prägende Epoche für Fützen gewesen. Bis nahezu auf den heutigen Tag ist der künstlerische und wissenschaftliche Zins mit Händen zu greifen, den das vor allem im 16.-18. Jahrhundert angesammelte Kapital abwirft. Vor allem in jener Zeit hat sich ein Potential entwickelt, dessen Impuls auf vielfältige Weise bis in die Gegenwart weiterwirkt.

Zu nennen wären hier einige Personen wie der (aus Hüfingen stammende) 1578 im Ort tätige Pfarrer Cosmas Zink, der Abt des Klosters Marienberg in Tirol wurde. Der 1596-1625 amtierende, als Abt Martin in die Geschichte des Klosters Sankt Blasien eingegangene geborene Fützener Martinus Meister wurde bereits erwähnt ebenso wie der ebenfalls ortsgebürtige Rat und Syndikus im Breisgauischen Prälatenstand in Freiburg Conrad Gleichauf, der nach seiner Erhebung in den Adelsstand als Freiherr von Gleichenstein siegelte.

Nicht vergessen sollte man den seit 1606 an der Universität Freiburg lehrenden Adam Meister, der der Nachwelt durch einige profunde rechtswissenschaftliche Abhandlungen in Erinnerung geblieben ist.

Und noch ein kulturelles Erbe hat Fützen der Nachwelt überlassen: den zur Marmorimitation tauglichen, auf der Gemarkung vorhandenen schönen Alabaster, eine Abart des Gipses. Bereits im 16. Jahrhundert fand dieser seinen Platz bei der Renovierung oder dem Neubau von Kirchen und Klöstern im süddeutschen Raum. 

Manch barockes Kleinod wie die 1775 durch den bekannten Architekten D´Ixnard errichtete Konstanzer Kathedralkirche hätte nicht jene farbliche Schönheit, wären da nicht die Alabastersteine aus Fützen.

Der größte Schatz des Ortes ist und bleibt jedoch die in der zweiten Hälfte des 18. Jh. durch kirchliche Bauten geschaffene Mitte. Mit dem Kirchenneubau ab 1750, und vor allem der Neukonzeption des Pfarrhauses und Pfarrhofes 1765/68 wurde ein bis heute beeindruckendes barockes Ensemble geschaffen.

Flankiert wird es von der in Teilen romanischen St.-Vituskirche, die in den Jahrhunderten alle Stilepochen baulich und in künstlerischer Ausgestaltung durchlaufen hat.

Solche eine Umgebung muss zwangsläufig auf zartere und begabtere Seelen wirken. Nimmt es da Wunder, dass der 1881 auf dem Klausenhof geborene Bernhard Schneider unter dem Künstlernamen Schneider-Blumberg seinen Ort Fützen und die Umgebung in der Malerei zu Ehren gebracht hat?

Als die rund 350 Jahre währende Zugehörigkeit zu St. Blasien mit der Säkularisation endete und Fützen erst 1803 zum Malteserorden, dann 1805 zu Württemberg und endlich 1806 zu Baden kam, war die alte Welt zerbrochen. 

Recht schnell aber fand man sich dann zurecht im Rahmen des in Formation begriffenen badischen Großherzogtums, wenngleich der mehrfache Wechsel der Kreiszugehörigkeit bis 1973 an die Besitzwechsel vor 1466 erinnerte.  

1807 war ganz in sankt-blasianischer Tradition das Bezirksamt Bonndorf Ansprechpartner, 1924 wies man den Ort dem Bezirksamt Donaueschingen zu, 1936 dann dem Bezirksamt Waldshut, 1939 ging es zurück ans Landratsamt Donaueschingen. 1973 schließlich erwarb Fützen die Zugehörigkeit zum Schwarzwald-Baar-Kreis.

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Die Säkularisation, d.h. die Aufhebung der Klosterherrschaft St. Blasien hat in Fützen manche Entwicklung abgewürgt, hat dem Ort tiefgreifende Veränderung im Zuge einer Hineinführung in den modern Territorialstaat gebracht.

Verloren gingen zunächst die Ansätze zu einem kleinen Verwaltungszentrum. Von einem Markt war schon lange keine Rede mehr und das nach 1722 mit einem Jäger eingerichtete kleine Forstamt ging an die Bezirksverwaltung in Bonndorf. 

Nach dem Beitritt Badens schließlich 1835 zum süddeutschen Zollverein und einer konsequenten Vereinheitlichung des Territoriums wie der Ablösung der verbliebenen Schaffhauser Rechte im Zuge eines Grenzvertrages war eine neue Qualität erreicht. Die Ausrichtung Fützens nach innen auf das badische Großherzogtum und der stärkere Abschluss der Außengrenzen setzten den wirtschaftlichen Verbindungen nach draußen wie den Richtung Schaffhausen orientierten zahlreichen sozialen Kontakten doch eine gewisses Ende.

Es ist daher ein Augenzwinkern der Geschichte, dass gerade in den Momenten, als viele Fäden rissen und zugleich die badische Revolution den Einbruch bedrohlichen Gedankengutes beförderte, Fützen die beruhigende Gewissheit erhielt, dass der Ort viel älter sei als bisher bekannt und somit auch noch ganz andere Fährnisse überstanden habe. Der diese gute Nachricht im Ort verbreitete war zu allem Überfluss auch noch der nach der niedergeschlagenen Revolution die Besatzungsmacht vertretende württembergische Hauptmann Lipp. Er war es, der 1849 beim Dorfe einen kleinen Begräbnisplatz freilegte, der sich als letzte Ruhestätte einiger Alemannen erwies, die zweifelsohne als die Urbewohner und Gründer Fützens angesehen werden können. 

Im Gegensatz zu anderen Gemeinden der nahen Umgebung fand das Großherzogtum Baden dank dem zuletzt noch bemerkenswerten sankt-blasianischen Landesausbau eine schon weit entwickelte bauliche Infrastruktur vor. Das 1784-1788 errichtete Rat- und Schulhaus zum Beispiel musste erst 1902 umgebaut und an neue Verhältnisse angepasst werden. Welche moderne Schule kann von sich heute behaupten, dass ihre Einrichtung und Baulichkeiten eine voraussichtliche Nutzungszeit von über 100 Jahren hätten und bei wie vielen Schulen im Kreis stehen bereits 20 oder 30 Jahre nach ihrer Erbauung Erneuerungen an, die einem Neubau ähneln?

Der Bewahrung und Solidität baulicher Einrichtungen allerdings standen soziale Umbrüche gegenüber, die zum Teil ortsspezifisch, zum Teil der historischen Entwicklung des Landes geschuldet waren. Gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begann eine Differenzierung und Liberalisierung, die das soziale Gesicht des Dorfes durchgreifend veränderte. In religiöser Hinsicht war es die damals die Massen bewegende Entstehung des Alt-Katholizismus, die den Beginn einer kirchlichen Vielfalt in Fützen markiert, welche durch den Flüchtlingszuzug nach 1945 und vor allem die Umschichtung der Gesellschaft ab den 1970er Jahren verstärkt wurde. Begonnen hatte dies alles 1874 mit der die ungeheure Menge von fast 1.000 Zuhörern anziehenden Disputation zwischen dem römisch-katholischen Pfarrer Johann Schöttle und dem alt-katholisch gesinnten Philosophieprofessor Michelis der Fakultät Braunsberg (Ostpreußen), der kurz zuvor an eine Pfarrei in Freiburg gewechselt war. 

Ein weiterer Umbruch bedeutenden Ausmaßes erfolgte im Zuge der Erbauung der militärstrategischen Wutachtalbahn, deren heutige segensreiche Spätwirkung vor allem auf der touristischen Anziehungskraft beruht. Sie öffnete Fützen das Tor zur Welt durch die Anbindung an das damals modernste Verkehrsnetz. Doch zugleich änderte sie das Gesicht und die innere Struktur des Ortes. Neben Eingriffen bautechnischer Art, welche der vertrauten Heimat durch Brücken und Tunnels ein anderes Aussehen gaben, waren es die nach Tausenden zählenden fremden Arbeiter, die 1886 bis 1890 einen sozialen Umbruch in die Wege leiteten. Manch Italiener blieb, mancher heiratete eine Einheimische, die Frage der Assimilation und der kulturellen Identität kam auf die Tagesordnung wie wir es erst heute wieder erleben.

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In diesen Jahren liegt auch die Wurzel für eine Entfaltung der Bürgerschaft in bis heute aktiven Vereinen, die den inzwischen mit etwas mehr Freizeit gesegneten Fützenern Gelegenheit zur Ausübung von Musik, Sport, Technik und Kultur boten. Doch auch hier gab und gibt es Schwankungen, die äußeren Einflüssen geschuldet sind. Der Militärverein verblich zusammen mit der preußischen Monarchie, der Radfahrerverein „Edelweiß Fützen“ wurde 1955 ein Opfer des mangelnden Interesses an nichtmotorisierter Fortbewegung. Andere, vor allem die Sport- und Fastnetsvereine haben sich bis heute gehalten, wenngleich die Alterung der Bevölkerung wie überall an deren Mitgliederzahl nagen wird.

Der im Gasthaus Hirschen am 7. Oktober 1910 ausgebrochene Großbrand zerstörte schließlich auch das überkommene Ortsbild des 18. und 19. Jahrhunderts wie die Kämpfe in der letzten Aprilwoche 1945 noch einmal das kaum vernarbte Gesicht des Ortes umpflügten. Und schlimmer, die willkürliche Inbrandsetzung des Schul- und Rathauses am 25. April durch SS-Truppen verursachte durch den Totalverlust des Archivs großen kulturellen Schaden. 

Dank der sozialen Stabilität und einem Zusammenhalt, der in der Epoche der Zugehörigkeit zu St. Blasien wurzelt, überstand der Ort auch diese Katastrophen. Ein erst zaghafter, dann rasch und konsequent durchgeführter Wiederaufbau der Infrastruktur hat Fützen in den Kreis der lebendigen Gemeinden am Randen zurückgeführt. Kindergarten und Schule, Wasser- und Elektrizitätsversorgung haben nach der per Gesetz durchgeführten Vereinigung mit Blumberg zum 1.1.1975 noch einmal einen kräftigen Schub bekommen. All dies gelang nur, weil der Stolz auf die eigene Leistung und das Selbstbewusstsein einen kräftigen Entwicklungsmotor bildeten.

Doch auch das ist heute schon wieder eine Generation her und die Sorgen sind andere.

Was aber bleibt vom Fützen des Jahres 1083 bei so viel Änderung? Würden man überhaupt einen Festakt zum Ortsjubiläum begehen, wenn man der Meinung wäre, dass an das Vergangene und nicht mehr Sichtbare kein Gedanke verschwendet werden sollte. Irgendetwas bindet an dieses Referenzjahr und diese frühesten Zeiten. Vielleicht ist es der Boden auf dem die heutigen Ortsbewohner sich bewegen. In ihrer Struktur nämlich ist die Ortsmitte die gleiche wie vor 1.000 Jahren, die Straßenzüge stehen auf den Wegen von einst. Im Kern des Ortes geht man die gleichen Wege, setzt die gleichen Schritte wie die Vorfahren. Und auch die Berge ringsum sind dieselben, wenngleich der Bewuchs sich geändert hat. Wundert es da, wenn vielleicht auch ein paar andere Eigenschaften die Zeiten überdauert und dem eingeborenen Fützener als Erbe mitgegeben wurden: die Fähigkeit, sich auch in unsicheren oder unklaren politischen und wirtschaftlichen Zeiten sicher zu verorten und das Beste daraus zu machen. Den nötigen Erfindungsgeist aufbringen, um sich durch die Zeiten zu schlagen, sein Dorf und das Erreichte zu schätzen und zu achten, um am Fuße des Randen ein glückliches, ruhiges Dasein umgeben von seinesgleichen und in Freundschaft mit Nachbarn jenseits aller Grenzen zu genießen. Das nach 1924 entstandene Fützener Lied schwärmt nicht umsonst vom weiten freien Hochlandtal, wo Fützen liegt, die „Perl des Randenlands“. Das verdankt man nicht zuletzt den ersten Akteuren von 1083.

Joachim Sturm

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